🏅 Doping DDR vs. Doping BRD – Die doppelte Wahrheit

🏅 Doping DDR vs. Doping BRD – Die doppelte Wahrheit

🚩 Ein (weiterer) Mythos fällt.


Die BRD wurde 1954 Fußballweltmeister – auf Wehrmachtsdrogen.

So könnte die (wahre) Erzählung über die Geschichte des Dopings in der BRD beginnen. Doch, fangen wir hinten an: 

Seit 1990 ist die Erzählung einfach: Die DDR habe ihre Sportler systematisch mit Dopingmitteln vollgepumpt – während der Westen "sauber" um seine Medaillen kämpfte. Dieses Bild ist bequem, politisch nützlich und medienwirksam. Nur leider stimmt es so nicht. Die Realität: Auch in der BRD wurde über Jahrzehnte hinweg systematisch und massenhaft gedopt – ohne große öffentliche Abrechnung.

Wer über Doping im Sport spricht, beginnt fast immer mit der DDR – und endet fast immer dort. Die Erzählung vom "bösen Osten", der seine Sportler systematisch mit Pillen und Spritzen traktierte, ist seit Jahrzehnten bequem für westdeutsche Politik und Medien. Denn während man nach 1990 jede Tablette, jede Ampulle aus dem Osten fein säuberlich auflistete, verschwanden im Westen ganze Aktenberge spurlos im Schredder. Dass in der BRD tausende Sportler gedopt wurden – oft minderjährig, oft unwissend – passte nicht ins gewünschte Bild.

Ja – die DDR betrieb Staatsdoping. Punkt.

Was aber eben nicht bedeutet, dass jeder DDR-Sportler gedopt war, oder dass die zahlreichen sportlichen Erfolge der DDR-Sportler ausschlieĂźlich Doping zu verdanken seien.

Vor allem aber gilt: Wer daraus schließt, der Westen habe "sauber" gearbeitet, der hat die Spielregeln des Kalten Krieges nicht verstanden. Die BRD dopte ebenfalls massiv – mit Ärzten in weißen Kitteln, die an Olympiastützpunkten, Bundeswehr-Sportfördergruppen und Uni-Kliniken über Jahrzehnte eine eigene, riesige Pharma-Parallelwelt betrieben. Übrigens auch: staatlich unterstützt.




Abbildung: Am 10. April 1987 starb die BRD-Siebenkämpferin Birgit Dressel im Alter von nur 26 Jahren. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel meldete, Dressel sei "nach dreitägigem Martyrium unter unsäglichen Schmerzen" gestorben. Ermittler stellten fest, dass die Sportlerin rund 100 verschiedene Medikamente (!) verwendete, darunter Anabolika.



📌 War Doping ein Ostblock-Phänomen?

Im Kalten Krieg war Doping kein deutsches Alleinstellungsmerkmal, sondern im gesamten Hochleistungssport verbreitet – besonders dort, wo es um Prestige im Ost-West-Wettkampf ging.

Hier ein grundsätzlicher Überblick:

➡️ USA

  • Sehr frĂĽhe Anwendung: Bereits in den 1950ern experimentierten US-Gewichtheber und Leichtathleten mit Testosteronpräparaten, nachdem man von sowjetischen Methoden erfahren hatte.
  • Organisation: Keine zentrale staatliche Steuerung, aber massive Förderung ĂĽber College-Programme, MilitärstĂĽtzpunkte und olympische Trainingszentren.
  • Substanzen: Testosteron, Dianabol (von US-Firma Ciba 1958 eingefĂĽhrt), später Anabolika-Mischungen, Wachstumshormone.
  • Olympiaerfolge: US-Leichtathleten, Schwimmer und Radfahrer nutzten systematisch Präparate – vor allem ab den 1970ern.
  • Aufarbeitung: Bis heute praktisch keine juristische Konsequenz, Doping wurde oft als „persönliche Entscheidung des Athleten“ behandelt.

➡️ Kanada

  • Höhepunkt: 1970er–1980er, besonders im Leichtathletik- und Kraftsportbereich.
  • Bekanntester Fall: Ben Johnson (100m-Sprinter, 1988 in Seoul positiv auf Stanozolol getestet).
  • Struktur: Dezentrale Trainer- und Ă„rzte-Netzwerke, oft in Verbindung mit US-Coaches.

➡️ BRD

  • Verbreitung: Flächendeckend im Leistungssport, besonders in Leichtathletik, Schwimmen, Radsport, Gewichtheben, FuĂźball.
  • Organisation: staatlich finanziert ĂĽber Sporthilfe, Bundeswehr, OlympiastĂĽtzpunkte.
  • Spezialzentrum: Freiburger Sportmedizin (Keul, KlĂĽmper).

➡️ Andere westliche Staaten

  • Italien: Stark im Radsport (Giro d’Italia) und Gewichtheben; EPO und Amphetamine weit verbreitet.
  • Frankreich: Rad- und Wintersportler unter Anabolika, Kortison, Blutdoping.
  • GroĂźbritannien: Vor allem im Kraftdreikampf und Sprint; keine zentrale Steuerung, aber verbreitete Eigenmedikation.




Abbildung: Der BRD-Diskuswerfer Alwin Wagner berichtete, ihm sei in den 1970er Jahren seitens des Bundestrainers der BRD vermittelt worden, dass er ohne die Einnahme leistungssteigernder Mittel keine Chance gehabt habe, bei internationalen Meisterschaften zu starten und "dass der DLV mich ohne Anabolika-Doping nie zu einer internationalen Meisterschaft nominieren wĂĽrde."



đź“‹ 20 Beispiele fĂĽr Doping in der BRD

  1. Freiburger Sportmedizin
    Unter Professor Joseph Keul und Dr. Armin Klümper entwickelte sich Freiburg zur zentralen Anlaufstelle für Spitzenathleten. Hier gab es Anabolika, Kortison und Blutdoping in medizinisch betreuter Form – finanziert aus öffentlichen Mitteln. Kaum ein Name im deutschen Spitzensport der 1970er–1990er kam an Freiburg vorbei.

  2. Bundeswehr-Sportfördergruppe
    Offiziell Trainingsstützpunkt für Eliteathleten, inoffiziell Dopingdrehscheibe. Anabolika und andere Mittel stammten oft aus Bundeswehrbeständen. Die ärztliche Aufsicht sorgte dafür, dass keine unliebsamen Protokolle entstanden.

  3. Das Wunder von Bern (1954)
    Die Welt feierte die Nationalelf, doch in den Kabinen flossen Pervitin-Spritzen, um Ermüdung vorzubeugen. Dasselbe Mittel wurde auch in der Wehrmacht verabreicht. Mehrere Spieler bestätigten später diese "medizinische Betreuung". Pervitin ist chemisch gesehen Methamphetamin, heute als Droge "Speed" bekannt.

  4. FuĂźball-Bundesliga der 1970er
    Vereinsärzte gaben offiziell Vitaminpräparate, in Wahrheit aber anabole Steroide und Aufputschmittel. Vereine wie 1. FC Köln oder VfB Stuttgart tauchten mehrfach in Berichten auf. Strafen gab es keine.

  5. Schwimmen im Westen
    Westdeutsche Schwimmerinnen erhielten Oral-Turinabol – teilweise aus DDR-Importen. Das Ziel war, mit den Ostkonkurrentinnen mitzuhalten. Anders als in der DDR gab es später weder Entschädigungen noch öffentliche Aufarbeitung.

  6. Biathlon-Bundeskader 1980er–1990er
    Mehrere westdeutsche Biathleten nutzten während der Wintervorbereitung Testosteronpräparate und Bluttransfusionen, um Ausdauer und Regeneration zu steigern. Die ärztliche Betreuung lief teils über denselben Kreis wie bei den Radsportlern (Freiburger Sportmedizin). Interne Berichte sprechen von "medizinischer Optimierung", Kontrollen wurden durch gezieltes Timing umgangen.

  7. Leichtathletik-Kader Nordrhein-Westfalen
    Minderjährige erhielten Testosteroncremes als angebliches "Aufbautraining". Eltern wurden nur kaum informiert. Die Fälle wurden erst durch Archivfunde bekannt.

  8. Skispringen der 1980er
    Athleten nahmen Anabolika, um Muskelmasse aufzubauen, und hungerten sich dann gezielt wieder herunter, um Weite zu gewinnen. Ärzte und Trainer wussten Bescheid – der Verband schwieg.

  9. Rudern im BRD-Bundeskader
    Seit den 1970ern wurden Steroide zur Leistungssteigerung verabreicht. Viele Athleten erfuhren nie die genauen Wirkstoffnamen. Dokumente tauchten erst Jahrzehnte später auf.

  10. Eisschnelllauf Olympia 1988
    West-Kaderathleten nutzten Testosteronpräparate in der unmittelbaren Wettkampfvorbereitung. Die Kontrollen waren vorhersehbar und leicht zu umgehen. Öffentlich wurde das erst in den 2000ern.

  11. Turnen BRD
    Anabolika wurden eingesetzt, um Muskelaufbau und Schnellkraft zu fördern, vor allem bei männlichen Athleten.

  12. Boxsport-Kader BRD
    Aufputschmittel und anabole Steroide waren vor wichtigen Kämpfen üblich. Durch geschickte Wahl der Substanzen blieben die Tests negativ.

  13. Freiburger Archivvernichtung
    Kurz vor einer Durchsuchung im Jahr 2007 wurden in Freiburg zahlreiche Unterlagen zu Dopingpraktiken vernichtet. Damit verschwanden viele Beweise zu tausenden Fällen aus den 1970er–1990ern.

  14. Handball-Bundesliga 1980er
    Einsatz von Stimulanzien wie Ephedrin in entscheidenden Meisterschaftsspielen – offiziell "Medikamente gegen Erkältung".

  15. Radsport-Team Telekom
    Das Team perfektionierte systematisches EPO- und Blutdoping. Westdeutsche Fahrer wie Rolf Aldag und Christian Henn waren aktiv beteiligt. auch ostdeutsche Fahrer wie Jan Ullrich gestanden später Doping ein. Die medizinische Betreuung lief jedoch nicht über ostdeutsche Kanäle, sondern über das bekannte Freiburger Netzwerk. 

  16. Boris Becker
    Vom Freiburger Dopingarzt Armin KlĂĽmper behandelt. Ă–ffentliche VorwĂĽrfe um leistungssteigernde Mittel wurden nie juristisch verfolgt.

  17. Leichtathletik-Bundestrainer Toni Nett
    Gab öffentlich zu, viele Athleten "unterstützt" zu haben, ohne dass Konsequenzen folgten. Seine Arbeit galt als erfolgreich, der Umgang mit Medikamenten blieb intern.

  18. Radsport 1980er
    Bluttransfusionen und Testosteronvergabe im westdeutschen Nationalteam, meist in ärztlichen Privatpraxen durchgeführt. Ärzte des "Bunds Deutscher Radfahrer" gaben gezielt Anabolika an Nationalmannschaftsfahrer. Die Mittel wurden als "Ergänzung" deklariert, um Kontrollen zu umgehen.

  19. Kanusport Westdeutschland
    Jugend- und Juniorenkader bekamen Anabolika zur "Regeneration". Spätere Gesundheitsschäden wurden nicht dokumentiert.

  20. OlympiastĂĽtzpunkt Hessen
    Minderjährige erhielten Anabolika unter dem Vorwand der Gesundheitsförderung. Eltern wurden nur vage informiert, konkrete Wirkstoffe nie genannt.




Kaum bekannt, aber historischer Fakt: 1977 empfahl Wolfgang Schäuble, damals sportpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, bei einer Anhörung im Bundestag, den Einsatz von Medikamenten, wenn sie denn im BRD Leistungssport unverzichtbar seien und diesen Einsatz von Sportmedizinern steuern zu lassen.



🏅 Von der Kinder-Sportschule zum Olympiapodest – warum die DDR-Sportförderung Maßstäbe setzte


Auch wenn es unbestreitbar Fälle von Doping gab, ist es falsch, pauschal alle DDR-Athleten unter Generalverdacht zu stellen – viele von ihnen waren schlicht das Ergebnis eines einzigartig effizienten und konsequenten Fördersystems, das in seiner Professionalität der BRD weit voraus war.

Die DDR-Sportförderung war in vielerlei Hinsicht der westdeutschen überlegen, weil sie frühzeitig Talente systematisch erfasste, diese in spezialisierten Kinder- und Jugendsportschulen gezielt förderte und ein flächendeckendes Netz aus Trainingszentren, Ärzten und Trainern bot. Leistungssport war nicht ein Nebenprodukt des Vereinssports, sondern ein strategisch geplantes Staatsprojekt mit klarer Ressourcenbündelung. Dadurch erreichten selbst kleine Länder wie die DDR Weltspitzenniveau.

Nach 1990 zeigte sich die Nachhaltigkeit dieser Strukturen: Ein Großteil der deutschen Medaillengewinner der 1990er stammte aus dem DDR-System, weil diese Athleten bereits seit Kindheit unter professionellen Bedingungen trainiert hatten, während im Westen vergleichbare Förderketten fehlten. Die BRD profitierte somit noch jahrelang von der "Sportler-Generation DDR", bis diese nach und nach aus dem aktiven Sport ausschied.


⚖️ Doping und Doppelmoral?

Die Moral der Geschichte ist schnell erzählt: Im Westen behandelte man Doping wie eine vergessene Jugendsünde – im Osten wie ein Kapitalverbrechen.

DDR-Ärzte standen vor Gericht.
BRD-Ärzte erhielten Ruhestandsurkunden.

DDR-Athleten wurden öffentlich vorgeführt, BRD-Athleten durften im Sportfernsehen weiter als "Legenden" auftreten. Die Wahrheit passt nicht ins Heldenepos – deshalb wird sie bis heute lieber verschwiegen.

Wer Dopinggeschichte vollständig erzählen will, muss beide Seiten sehen. Die DDR hat ihre Akten geöffnet und sich den Prozessen gestellt – die BRD hat ihre Archive geleert, vernichtet und bis heute keine umfassende Aufarbeitung vorgelegt. Vielleicht liegt genau darin der Unterschied:

Der Osten musste sich bekennen, der Westen durfte vergessen.

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1 Kommentar

Ich habe Anfang der 90er Jahre häufig Thrombozyten und Blut allgemein gespendet. Eine Ärztin der MHH erzählte mir, als wir über Sport sprachen, dass diverse Mannschaftssportler in den 70er/80er Jahren bei ihr in Bayern mit Blutdoping aktiv gewesen sind. Ist zwar nur vom Hörensagen, aber es war in Westdeutschland unter dem Radar Gesprächsthema.

Marian Hans

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