Superfest: Das unzerbrechliche DDR-Glas, das verschwinden musste

Superfest: Das unzerbrechliche DDR-Glas, das verschwinden musste

Was passiert, wenn ein sozialistischer Staat ein Produkt entwickelt, das nahezu unzerstörbar ist, Ressourcen spart und Jahrzehnte hält? Nun: Es wird aus dem Gedächtnis gelöscht. Genau das geschah mit "Superfest" – dem bruchsicheren Glas aus der DDR.

Ökologisch. Effizient. Volkseigen. Und damit ein Problem für eine Wirtschaft, die vom Verschleiß lebt. Westliche Konzerne winkten ab:

 
"Ein Glas, das nicht kaputtgeht? Daran verdienen wir nichts."


Was folgte, war die Liquidierung einer funktionierenden Fabrik – durch die Treuhand, ohne Not. Heute steht das Glas symbolisch für alles, was nicht ins marktwirtschaftliche Weltbild passte: Dauer, Zweck, Vernunft.

Ein Relikt der DDR, das Fragen stellt: Muss alles kaputtgehen, damit es sich lohnt?

Was, wenn Langlebigkeit keine Schwäche ist – sondern eine Kampfansage?



💬 Der Mythos vom ineffizienten Sozialismus

Seit Jahrzehnten prägt uns das Narrativ, dass alles aus dem "real existierenden Sozialismus" von schlechter Qualität gewesen sei. Diese Erzählung – geboren aus westlicher Propaganda – behauptet, Effizienz, Innovation und Qualität seien exklusive Merkmale der kapitalistischen Privatwirtschaft, während der "öffentliche Sektor" per Definition träge und leblos sei.

Nicht nur Millionen DDR-Bürger, die alle eine Waschmaschine WM 66 zuhause stehen hatten (staatlich verordnet musste diese mindestens 20 Jahre halten), wissen: Das ist nicht nur theoretisch absoluter Quark, die Realität hat dieses Märchen anhand von Millionen DDR-Produkten (die zum Teil heute noch in Gebrauch sind) widerlegt.

Das Märchen selbst dient auch der Durchsetzung eines neoliberalen Weltbilds: Wettbewerb ohne Regeln, Ressourcenverteilung durch "unsichtbare Hände" und Profitorientierung als oberstes Prinzip. Wo kommen wir denn hin, wenn Produkte wie Smartphones, Drucker, moderne Waschmaschinen, Smart-TVs, Laptops, Kapsel-Kaffeemaschinen, LED-Leuchtmittel, Bluetooth-Kopfhörer, Küchengeräte, Elektrorasierer ewig halten? Und: Was hätte das erst für Auswirkungen auf "unser" Wirtschaftssystem?!


🧪 Die DDR als Gegenbeweis

Die DDR war kein perfekter Staat – aber sie hat mehrfach bewiesen, dass auch eine Planwirtschaft große Innovation hervorbringen kann. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel: das Superfest-Glas, auch bekannt als Ceverit oder CV-Glas – ein fast unzerbrechliches Trinkglas, das in den 1970er Jahren in der DDR entwickelt wurde:

"Superfest": Feindbild der geplanten Obsoleszenz.




Abbildung: "Superfest"-Gläser finden sich heute noch in so mancher Ost-Gartenlaube neben anderem, wohl bekannten DDR-Geschirr!


🔧 Geplante Obsoleszenz: Wenn Dinge absichtlich kaputtgehen sollen

Geplante Obsoleszenz (engl. planned obsolescence) bezeichnet die absichtliche Verringerung der Lebensdauer eines Produkts durch den Hersteller – damit es schneller ersetzt werden muss.

Es gibt verschiedene Arten davon:

  1. Technische Obsoleszenz
    Bauteile sind so ausgelegt, dass sie nach einer bestimmten Zeit kaputtgehen (z. B. schwache Kondensatoren, begrenzte Akkulebensdauer).

  2. Funktionale Obsoleszenz
    Geräte werden durch Software-Updates oder neue Standards künstlich veraltet (z. B. Smartphones, die keine Updates mehr bekommen).

  3. Psychologische Obsoleszenz
    Produkte wirken „alt“ oder „unmodern“, obwohl sie noch funktionieren – durch Marketing oder Designtrends (z. B. Mode, Autodesign, Smartphones).

Ziel: Mehr Umsatz durch häufigeren Neukauf – auf Kosten von Ressourcen, Umwelt und Verbrauchen. Im Kapitalismus: Ein weit verbreitetes Mittel zur Profitsteigerung. Im Sozialismus: Undenkbar – dort war Langlebigkeit selbstverständliches Planungsziel.



🔬 Ein Glas, das nicht bricht?!

Am 8. August 1977 meldete ein Forscherteam unter Leitung von Dieter Patzig ein Patent an: "Methode und Gerät zum Erstarrungsglas durch Ionenaustausch gegen erstarrtes Trinkglas". Die chemische Behandlung mit Kalium- und Natriumionen machte das Glas extrem bruchfest.

Bereits 1978 beschloss der Ministerrat der DDR, die Forschung öffentlich zu finanzieren. Die Produktion übernahm der VEB Sachsenglas Schwepnitz bei Dresden – ein auf Glasverarbeitung spezialisiertes Volkseigener Betrieb.

Zwischen 1980 und 1990 wurden über 110 Millionen Gläser in unterschiedlichen Formen produziert – insbesondere Biergläser wurden zum Kassenschlager. Am 4. Juni 1980 verließ das erste Superfest-Glas das Werk – gefeiert mit Champagner in den neuen Gläsern.



Abbildung: Das Glas, das nicht sein durfte (Original-Werbung aus den 1980ern)


🌍 Zu stabil für den Profit?

Die DDR-Wissenschaftler erhielten Auszeichnungen – und das Glas selbst war ein ökologischer wie ökonomischer Erfolg:

  • 10.000 Tonnen Glas konnten jährlich eingespart werden
  • Einsparungen von 20.000 MWh Energie pro Jahr 
  • Lebensdauer: 5- bis 15-fach höher als normales Glas

Das Superfest-Glas war eine – heute mehrheitlich vergessene oder totgeschwiegene – Jahrhundert-Erfindung.

Superfest-Gläser wurden in hoher Stückzahl hergestellt und landesweit an Gaststätten und Kneipen in der DDR verteilt. Ihre nahezu unverwüstliche Beschaffenheit machte es für die Gastronomien der DDR über Jahre hinweg überflüssig, Ersatz anzuschaffen.




Abbildung: Ein Superfest-Bierglas (0,25 l) mit dem typischen Eichstrich


🚧 Exportversuch in den Westen – und das Scheitern

Nach der flächendeckenden Einführung in der DDR wollte man exportieren – auch in den Westen. Einer der westdeutschen Vertriebspartner war Eberhard Pook aus der Nähe von Bremen. Im ZEIT Magazin (2020) berichtete er, wie beeindruckt er vom Produkt war.

Er schlug den neuen Markennamen Superfest vor – "Ceverit" klang zu chemisch für westliche Ohren. Gemeinsam präsentierte man das Produkt auf Messen in Leipzig und Frankfurt. Zur Demonstration warf man Gläser gegen Ziegelwände – sie blieben heil.

Und doch: Kein einziges Glas wurde verkauft.


🤑 Der Kapitalismus sagt: Nein danke


Pook erzählt:

"Coca-Cola fragte mich: Warum sollten wir ein Glas benutzen, das nicht zerbricht? Wir verdienen doch an jedem zerbrochenen Glas."

Der Kapitalismus hatte kein Interesse an einem langlebigen Produkt. Oder wie Pook sagt:

"Wer sägt schon an dem Ast, auf dem er sitzt?"

 

💣 Abwicklung und Vergessen

Nach dem Anschluss der DDR an die BRD am 1. Juli 1990 kam nicht nur die D-Mark – es kam auch die Deindustrialisierung Ostdeutschlands. Der VEB Sachsenglas Schwepnitz wurde ohne Übergang geschlossen. Tausende Arbeiter rutschten in die Arbeitslosigkeit.

Die berüchtigte Treuhandanstalt – vom Westen eingesetzt zur "Privatisierung" des DDR-Erbes – ließ die Fabrik einfach liquidieren. Kein Verkauf, kein Erhalt, kein Interesse. Nur vergessen. Der Superfest-Ofen wurde für immer abgeschaltet.




Abbildung: DDR-Wirtschaftspatent Nr. 15796 (Superfest)

💸 Heute ein Sammlerstück

Wer heute ein Superfest-Glas besitzen will, kann eines auf eBay kaufen – für rund 59 Euro plus Versand. Ein stolzer Preis für ein Relikt der Vernunft.

 

🧠 Kapitalismus vs. Sozialismus – am Beispiel eines Glases?

Ein Glas, das 30 Jahre hält, ist für den Kapitalismus kein Gewinn – sondern ein Problem. Denn Profit entsteht durch wiederkehrenden Konsum, nicht durch Langlebigkeit.

Der Sozialismus hingegen produziert nach Bedarf, nicht nach Profit. Ein Kühlschrank fürs Leben? Warum nicht. Eine Waschmaschine ohne geplante Obsoleszenz? Selbstverständlich.



Abbildung: Fun Fact: Die letzten Bestände sind heute eine gute Wertanlage...


📢 Erinnerung gegen das Vergessen

Die DDR war nicht perfekt. Aber sie war auch nicht der technologische Friedhof, als der sie heute dargestellt wird. Das Superfest-Glas erinnert uns daran, wie sehr uns westliche Narrative einen völlig einseitigen Blick aufgezwungen haben.

Wenn euch das nächste Mal eine "nachhaltige" Werbekampagne begegnet – denkt an das Glas, das man verschwinden ließ. Nicht weil es schlecht war, sondern weil es zu gut war.

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4 Kommentare

Meine Schwester hat im letzten Jahr ihr Restaurant aufgegeben, ich konnte aus der Hinterlassenschaft mehrere Superfestgläser retten,ich kann mich erinnern,das wir in der DDR Wetten abgeschlossen haben,das ein Glas vom Tisch fallen lassen ,ob es kaputt geht.Das beste Beispiel für wirkliche Nachhaltigkeit,was in der " Wertegemeinschaft" nur hohle Sprüche sind

Hans-Jürgen Radde

Davon habe ich schon gehört und ich finde die Idee gut. Könntet Ihr vielleicht die Produktion davon wieder anschieben? Ich würde das sehr gerne kaufen!

Alexander

Ich habe gehört, dass das Gorilla Glas auf der Grundlage dieses Patentes gemacht wird.

Edgar Lehmann

Warum sich nicht das Patent sichern und einen neuen Vermarktungsversuch im real existierenden Kapitalismus starten?

Pittiplatsch der Liebe

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